Am vergangenen Montag fanden am Amtsgericht Tiergarten in Berlin zeitgleich zwei mehr oder weniger politische Verfahren statt. Im ersten Prozess ging es um fünf Neonazis, die mehrere Personen gefährlich verletzt hatten und bei dem anderen um eine Aktivist*in, die ein Protestbanner auf dem Messegelände ICC aufgehangen hatte. Obwohl sich beide Verfahren gravierend in der Schwere der Tatbestände unterscheiden, nähern sie sich in Höhe und Art der Strafe auf beunruhigende Weise einander an. Ein Vergleich, den man gar nicht führen möchte.
Zum Hintergrund des Hausfriedensbruchs der Ökos und Tierrechtler*innen
Die Aktivist*in gehört dem Protestbündnis „Grüne Woche demaskieren“ an und ist die dritte von insgesamt vier Angeklagten, die sich für ihren Protest vor Gericht verantworten müssen. Das Bündnis richtet sich gegen eine kapitalistische Landwirtschaft und gegen die Ausbeutung von Tieren und hatte deshalb Anfang des Jahres verschiedene gewaltfreie Aktionen gegen die Grüne Woche 2014 auf und vor dem Messegelände Süd durchgeführt. Die vier angeklagten Aktivist*innen hatten auf dem Gelände gewaltfrei Protestbanner gegen die weltweit größte Landwirtschaftsmesse aufgehangen und waren deshalb wegen Hausfriedensbruchs mit Strafbefehlen belangt worden, gegen die sie sich aber wehrten und Rechtsmittel einlegten. Bei zwei Aktivist*innen sind die anschließenden Prozesse gegen Auflagen von Arbeitsstunden bereits eingestellt worden, die anderen zwei Verfahren laufen noch.
Zum Hintergrund der gefährlichen Körperverletzung der Neonazis
Die Neonazis hatten 2011 während einer Demonstration in Kreuzberg vier Gegendemonstrierende angegriffen und verprügelt, einer der Angegriffenen soll knapp einem Schädelbasisbruch entgangen sein. Insgesamt zwölf Personen der Demonstration stehen im Verdacht, bei dem Angriff beteiligt gewesen zu sein. Nach drei Jahren Verzögerungs-/ Ermittlungszeit hatte letzte Woche endlich der Prozess begonnen und war nach zwei Verhandlungstagen bereits schon wieder beendet. Vier der Gewalttäter wurden verurteilt, der fünfte sitzt wegen einer anderen Tat in Haft und bekommt einen gesonderten Prozess. Das Urteil fällt für die vier äußerst milde aus, was unter anderem daran liegt, dass der Beginn des Prozesses so sehr verschleppt worden war. Theo Schneider beleuchtet und kritisiert den Ausgang sowie den Verlauf des Verfahrens in einem sehr guten Beitrag für den Störungsmelder.
Die Urteile im Vergleich
Die Urteile für die Nazis und die Urteile für die Aktivist*innen vom Protestbündnis „Grüne Woche demaskieren“ lassen sich im Vergleich wie eine Ohrfeige für den Rechtsstaat lesen:
Die Urteile werfen Fragen auf
Warum liegen die bloßen Strafbefehle wegen Hausfriedensbruch an die Aktivist*innen von „Grüne Woche demaskieren“ höher, als die von den beiden neonazistischen Gewalttätern Marcel T. und Felix T.?
Warum liegen die Arbeitsstunden, die zwei von den Aktivist*innen nach der Einstellung leisten müssen, höher, als die von Robert H., der die Strafe für ein Gewalturteil kassiert?
Warum haben Öko-Protestierende auf dem Messegelände mehr Strafe zu erwarten, als Neonazi-Schläger auf dem Mehringdamm?
Rechtsstaat ad absurdum geführt
Fakt ist, Justiz und Polizei haben gegen rechte Schläger wieder einmal keine klare Kante gezeigt. Die Nazis konnten fast ungestört um sich schlagen und ohne ernsthafte Konsequenzen Menschen verletzen. Dagegen werden antikapitalistische Protestierende schnell abgeurteilt und das mit höheren Strafen als die Nazis. Die lassen sich von einem bekannten Anwalt der rechten Szene vertreten und stellen sich dann noch als nette Jungs von nebenan dar. Die Verfahren und die Urteile führen den Rechtsstaat ad absurdum.
Da wirkt es fast schon als Selbstverständlichkeit, wenn die Sozialarbeitenden im Prozess davon reden, dass sich die Angeklagten von rechtsradikalen Einstellungen gelöst hätten und keine „schädliche Wirkung“ mehr von ihnen ausgehe. Wie sehr sie sich davon gelöst haben, wird sich auf einer der zahlreichen Demonstrationen in nächster Zeit bestimmt beobachten – nämlich gar nicht.